M. Melanie: Der Hochwasserschutz an der Gürbe

Cover
Titel
Der Hochwasserschutz an der Gürbe. Eine Herausforderung für Generationen (1855 – 2010)


Autor(en)
Salvisberg, Melanie
Reihe
Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte 7
Erschienen
Basel 2017: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
406 S.
von
Daniel L. Vischer

Die Autorin hat dieses Buch im Anschluss an ihr Geschichts- und Geografiestudium als Dissertation am Historischen Institut der Universität Bern verfasst. Überdies erschien im selben Verlag ein entsprechendes populärwissenschaftliches Buch mit dem Titel Die unzähmbare Gürbe. Die vorliegende Rezension bezieht sich aber nur auf die Dissertation. Diese umfasst sieben eigentliche Kapitel, denen drei weitere als Kapitel bezeichnete Verzeichnisse der Abkürzungen, Abbildungen, Quellen, Literatur, Schadensereignisse und Hochwasserschutzprojekte folgen.

Nach einem einleitenden Kapitel 1 wird in Kapitel 2 die Gürbe, ein südlich von Bern in die Aare mündendes Wildwasser, charakterisiert und als wichtiges Landschaftselement vorgestellt. Ihre verhältnismässig häufigen Hochwasser und deren Auswirkungen sind das Thema von Kapitel 3. Dann stellt Kapitel 4 den Kontext zu den Hochwasserereignissen in der ganzen Schweiz her und skizziert die Entwicklung der rechtlichen Grundlagen für den Hochwasserschutz. Kapitel 5 fokussiert dem Buchtitel entsprechend auf die an der Gürbe vorgenommenen Hochwasserschutzmassnahmen, die in Kapitel 6 aus verschiedenen einstigen und heutigen Perspektiven beurteilt werden. Das letzte Kapitel unterstreicht zusammenfassend die wichtigsten Erkenntnisse und Folgerungen.

Es ist zu begrüssen, dass sich das Buch der Geschichte eines kleinen Gewässers widmet. Die Gürbe ist ja bloss etwa 30 km lang und entwässert ein Einzugsgebiet von nur 130 km2. Doch weist die Schweiz viele solche Gewässer auf, die zwar jeweils ihren eigenen Charakter besitzen, aber eben doch Gemeinsamkeiten aufweisen. Dazu gehört der Umstand, dass die Hochwasserabflüsse den normalen Abfluss um ein Vielfaches übersteigen. Im Fall der Gürbe ermöglicht es die überaus dichte Quellenlage, in die Einzelheiten zu gehen und zu zeigen, dass die Gewährleistung des Hochwasserschutzes eine Komplexität aufweist, wie sie gewöhnlich nur Grossprojekten zugeschrieben wird. Und deshalb wird diese Aufgabe wohl mancherorts unterschätzt. Angenehm ist, dass sich Melanie Salvisberg einer klaren und ausgewogenen Darstellung bedient, um die miteinander verwobenen technischen, finanziellen und politischen Einflüsse aufzuzeigen. Vielleicht hätte sie dabei die heutige Rolle der Versicherungen noch mehr herausstreichen können.

Dezent nimmt Melanie Salvisberg Abstand zum Abholzungsparadigma, das Ende des 19. Jahrhunderts und später die Abholzung der Wälder als «Wurzel des Übels» betrachtete und Aufforstungen im Einzugsgebiet und selbst entlang der Gewässer forderte. Denn die «Wurzel des Übels» liegt bei der Gürbe wie bei verwandten Wildwassern eindeutig in den Starkniederschlägen, die das Einzugsgebiet treffen. Heute würde man die erwähnten Aufforstungen deshalb einfach als weitere Zielsetzung neben den Hochwasserschutz, die Landgewinnung, die Entsumpfung, die Güterzusammenlegung usw. stellen. Und nach Ansicht des Rezensenten sind heute auch die in den 1990er-Jahren einsetzenden Renaturierungsmassnahmen Teil einer solchen Mehrfachzielsetzung.

Melanie Salvisberg untersucht unter anderem auch die Frage nach der Motivation für den Hochwasserschutz. Was löste letztlich einen Baubeschluss aus? Es war immer wieder ein Hochwasserereignis mit grossen Schäden. So banal diese Feststellung klingen mag, so bedeutsam ist sie. Die betroffene Bevölkerung schlitterte nicht einfach in die Armut oder wanderte aus. Es gab zwar in der Schweiz entsprechende, wenn auch begrenzte Auswanderungsbewegungen. Aber über alles gesehen, ist der Wille zur Behauptung gegenüber Naturgefahren stark verbreitet – der Alpenraum wäre anders wohl nur spärlich besiedelt. Man kennt ja aus dem nahen und fernen Ausland genügend Beispiele von Naturkatastrophen, die ausser vollmundigen Deklamationen von Regierungsstellen keine Gegenmassnahmen auslösten. Im Gürbetal aber sorgte ein kompliziert anmutendes, jedoch letztlich wirksames Zusammenspiel von Bund, Kanton, Gemeinden und Zweckverbänden für eine fortwährende Verbesserung des Hochwasserschutzes. Und der steigende Bevölkerungsdruck mit den ihn begleitenden Wohn-, Gewerbeund Verkehrsbauten macht solche Verbesserungen zur Daueraufgabe. Politschlagworte, wie «die Gürbe gilt es unschädlich zu machen», gehören, wie Melanie Salvisberg ausführt, der Vergangenheit an. Denn vor weiteren Schäden ist man – dafür sorgt die Dynamik der Natur – nicht gefeit.

Wer wird das vorliegende Buch lesen? Zum einen jene Historiker, die ähnliche Übersichten verfassen wollen. Man hat sich ja in der Vergangenheit ausgiebig mit kriegerischen Auseinandersetzungen befasst, dank denen eine Region verteidigt oder erweitert wurde. Man darf sich deshalb heute vermehrt der Sicherung des Lebensraums vor Naturgefahren widmen. Zum anderen sollten auch Planer von integralen Hochwasserschutzmassnahmen das Beispiel «Gürbe» beachten.

Zitierweise:
Daniel L. Vischer: Rezension zu: Salvisberg, Melanie: Der Hochwasserschutz an der Gürbe. Eine Herausforderung für Generationen (1855 – 2010). Basel: Schwabe 2017. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 2, 2019, S. 69-71

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 2, 2019, S. 69-71

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